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Wichtiger Hinweis zum Aufmacherbild: Millionen Chinesen können nicht irren. Oder doch? Die hatten einfach keine Wahl und kauften das, was es gab: Das Flying Pigeon China Rad. Mit Stahlrahmen, ohne Gangschaltung, aber umweltfreundlich. Das enorme Wachstum der Volkswirtschaft hat seinen Preis und der heisst Luftverschmutzung. China bezieht seine Energie zu mehr als zwei Dritteln aus Kohlekraftwerken. Und geradelt wird nicht mehr.
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Schon in den zwei vergangenen Folgen wurde im Vorspann daran erinnert, dass der Frühling angebrochen und es an der Zeit sei, sich ggf. um ein neues Fahrrad zu kümmern. Daran hat sich in der dritten Folge nichts geändert, es brüllen immer noch Vögel herum und Krokusse verunzieren die Grünflächen. Es soll nochmals betont werden, dass sich viele Räder draussen herumtreiben, von denen der potentielle Fahrrad-Halter keine Ahnung hat und aus diesem Grund ein Beratungsbedarf besteht, der mit diesen Zeilen erfüllt werden soll. Leider jedoch ist mit der dritten Folge unserer beliebten Serie der diderotsche Ausflug in Brehms Fahrradleben zu seinem jähen Ende gekommen, was nicht zuletzt an der erlahmenden Fabulierwut des Autors liegt. Zudem sind die wichtigsten Spezies erfasst, dem geneigten Leser enzyklopädisch vorgestellt und somit das Ziel der Serie erreicht.
Der China-Klassiker Flying Pigeon in neuem Federkleid als E-Bike. Etwas für den versierten Schrauber und unerschrockenen Liebhaber von antiker Technik. Bei hcc-m.com, Bisingen für 1.300 Euro. (Bildquelle: cc-m.com, Bisingen)
Das China-Rad
Das meistgebaute Fahrrad der Welt, seit 1950 wurden davon ca. 500 Millionen gebaut. Hat es bis ins Londoner Design Museum geschafft. Ist aber in freier Wildbahn fast ausgestorben, weil der gemeine Chinese jetzt motorisiert ist und Volkswagen liebt. Von der Marke fliegende Taube, Flying Pigeon, suggeriert das China-Rad Leichtigkeit und Schnelligkeit, obwohl dem nicht so ist. Es ist schwer, langsam und hat nur einen Gang.
Dieser Vogel liebt das europäische Klima nicht und ist nur noch in Indien und Afrika zu finden. Wird in Tianjin (♁39° 8′ N, 117° 11′ O) von ungelernten Kräften gebaut und ist von unterirdischer Qualität, sodass bei Neurädern oft schon Schweissarbeiten auszuführen sind. Die Chinesen haben die Bauart von den britischen Raleigh-Rädern der dreissiger Jahre abgekuckt, so mit Gestängebremse und so. Ein Raleigh wäre zwar die bessere Wahl, aber in gutem Zustand unerschwinglich.
Einzelne Exemplare gibt es noch bei http://www.flying-pigeon.es und www.reinrad.de für um die 450 Euro. Neuerdings soll sogar eines mit Motor daherkommen, guckst du unter www.flying-pigeon-e-bike.de, einer Firma aus Bisingen, die 1.300 Euro dafür haben will. Wer ein gebrauchtes kauft, hat deutlich mit Kosten zu rechnen. Wer ein Neues kauft, auch.
Mit Patina: Das Bahnhofsrad. Muss rostig sein. An diesem hier ist vielleicht noch zu wenig Dreck dran. Sollte hinzugefügt werden. (Bildquelle: Wikipedia Commons, Späth Chr., Chiemseeman)
Das Bahnhofs-Rad
Das Bahnhofs-Rad ist die ärmste Kreatur unter dem Zweirad-Himmel. Mißachtet und vernachlässigt treibt es sich halbwild in der Nähe von Bahnhöfen herum, gerne auch in Rotten. Nicht zu verwechseln mit den Leihrädern der Bahn, die auch dort herumstehen und umweltfreundlich tun, obwohl sie eine sehr kurze Lebensdauer haben. Die Mißachtung des Bahnhofs-Rades ist Plan. Es soll heruntergekommen aussehen und wird daher absichtlich maltraitiert, was gegen die europäische Konvention für Fahrrad-Rechte verstösst, die da sagt: Du sollst dein Fahrrad lieben und pflegen.
Es gibt durchaus Überschneidungen mit dem derzeitigen Trend des „Rat-Look“, auf deutsch Ratten-Aussehen. Das sind Fahrzeuge, die aussen pfui und innen hui sind, also ein Überraschungs-Effekt eingebaut ist. Den gibt es beim Bahnhofs-Rad nicht, das ist insgesamt pfui. Das Beste und Teuerste beim Bahnhofs-Rad ist das massive Schloss, was mehr als das ganze Rad gekostet hat.
Warum das Ganze? Menschen, die mit dem Rad zum Bahnhof kommen, wollen nicht auffallen und passen ihr Gefährt dem Aussehen des Bahnhofes an. Wie wäre das auch, wenn ein funkelndes Rad vor einem heruntergekommenen Gebäude steht? Das würde sofort ins Auge stechen und dazu führen, dass das Rad von Mitarbeitern der Deutschen Bahn demoliert würde und der Besitzer keine Monatskarte bekäme, weil man ihm Reichtum attestierte.
Wer ein Bahnhofs-Rad kaufen will, sieht sich in Kleinanzeigen-Märkten, auf Flohmärkten und im Garten der Nachbarn um. Mehr als 40 Euro sollten nicht ausgegeben werden, weil das dann hinzukommt: Neue Reifen, neue Bremsgummis und ggf. neue Züge, was in der Werkstatt leicht 100 Euro kostet. Wichtig ist, der Werkstatt zu sagen, dass das Rad NICHT geputzt werden soll, um den gewünschten Look zu erhalten.
Das Kardan-Rad
Das Kardan-Rad ist ein freiheitsliebender Vogel, der sich nicht an die Kette legen lassen will. Daher hat dieser Vogel gar keine Kette. Der Antrieb erfolgt über einen Stahlstab, der innerhalb der Rahmenrohre läuft. Damit man das versteht, muss man sich erst mal dieses Bild ansehen:
Das ist ein Kardan-Antrieb von der Firma Fendt. Rechts unten sieht man die Nabe, links oben das Tretlager. Gut zu erkennen sind die Kegel-Zahnräder, die für den Antrieb sorgen. Das blaue Dings in der Mitte ist das rechte Rahmenrohr, in dem der Stahlstab, sprich die Welle läuft. Das Ganze ist schwer, aber wartungsarm. (Bildquelle: Fendt / Christoph Preussler)
Kardan-Räder treiben sich schon seit mehr als 120 Jahren herum, werden aber meist nicht erkannt, weil keiner genau kuckt. Sie sind ein wenig unbeliebt, weil die Technik aufwändig ist, und der Preis hoch. Wer mit einem solchen Rad zur Werkstatt kommt, wird bewundert, aber sofort weggeschickt, weil sich keiner auskennt, was peinlich, aber blöd ist. Die meisten Kardan-Räder auf dem Gebrauchtmarkt sind von der Firma Fendt, Modell Fendt Cardano. Die sind zuverlässig, aber leider hat ausser dem Schreiber dieser Zeilen kein Mensch mehr Ersatzteile.
Das ist ein guter Rad. Das Brik Sec von der Firma Brik aus Holland. Der Rahmen ist mehr als stabil, und es sieht dabei auch noch gut aus. Würde der Autor kaufen, wenn er nicht schon fünf Kardanräder hätte. Kostet so um die 1.000 Euro. (Bildquelle: brikbikes.com, Elst, Niederlande)
Aber es gibt auch neue. Zum Beispiel aus dem holländischen Ort Elst. Brik Bikes heisst die Firma und die Räder kosten so um die 1000 Euro. Schöner Rahmen, schöne Technik, schöne Farbe. Exoten sind zwar so eine Sache, aber man kann ja mal etwas wagen. Nur weil ein Papagei in der Wohnung selten ist, muss er ja nicht gleich krank werden, gerade wenn er die richtigen Körner bekommt.
Wer es elektrisch liebt, sollte sich noch auf www.honbike.com umsehen. Dort gibt es ein faltbares E-Bike mit Kardanantrieb. Soll so um die 2.200 Euro kosten. Ebenfalls dort zu sehen ist ein Film, der die Wirkungsweise des Kardanantriebs eindrucksvoll zeigt, so dass man das Ganze auch versteht.
Das Klapp-Rad
Das Fahrrad soll den Fahrer tragen. Wenn der Fahrer aber das Fahrrad tragen soll, wird es schwierig. Weil das vermaledeite Ding sperrig ist. Wie soll das gehen? Ganz nach Darwin hat hier die Evolution zugeschlagen: Mit dem Klapp-Rad. Das ist ein Verwandter des Igels. Wenns eng wird, rollt der sich zusammen. So ähnlich auch das Klapp-Rad. Das rollt zwar auch, aber klappt sich zudem. Klappt meistens, ausser der Apparat war billig, dann klappt gar nix.
Paläontologen haben die ersten fossilen Skelette von Klapp-Rädern in Gesteinsschichten des ersten Weltkriegs nachgewiesen. Sie hatten noch Reste einer olivgrünen Farbfassung, wonach auf einen mitlitärischen Einsatz geschlossen werden konnte. Forschungen ergaben, dass diese Räder von Soldaten durch die Berge getragen wurden, was ein Rätsel bleibt, weil man da kaum radeln kann. Zwischenzeitlich sind fotografische Artefakte aufgetaucht, die wir dem Leser dieser Zeilen nicht vorenthalten wollen.
Wir schreiben den 22. Mai 1915. Zwei italienische Bersaglieri-Soldaten schleppen ausser ihrem lächerlichen Hut (Modell 1871) noch ihre Ausrüstung und ein Fahrrad durch die italienischen Berge, obwohl man dort schlecht radeln kann. Das Klapp-Rad ist also kein Freizeit-Gerät, sondern zuerst aus militärischem Kalkül entstanden. (
Danach wurde dieses exotische Tier nur noch vereinzelt in Zuchtstationen exzentrischer Fahrrad-Labore gesichtet. Was sich Mitte der 60er Jahre änderte. Mitten in der hochwogenden Autowelle wollte keiner ein Zweirad kaufen, was sich negativ auf das Portemonnaie der Fahrrad-Fabrikanten auswirkte. Die zogen daraufhin das Klapp-Rad aus ihren Hüten. Vorgeschlagen wurde, es im Kofferraum zu transportieren, um die letzten Meter der Autowanderung auf dem Weg nach Neuschwanstein auf zwei Rädern zurück zu legen. Diese Gefährte hatten maximal zwei Gänge, waren klapperig aber dafür schön bunt. Der Unterschied zum Fahrrad ist ungefähr so, wie der Unterschied einer Reisetasche zu einer Ridicule.
Die Klapp-Räder dieser Zeit sind zwischenzeitlich verstorben, es hat sich allerdings eine neue Generation herausgemendelt, die endlich den Namen Fahrrad verdient. Das zeitgenössische Klapp-Rad macht sich gerne klein, obwohl sein Preis gross ist. Brauchen tut man es, wenn man mit dem ÖNPV unterwegs ist und das Hollandrad den Waggon verstellen würde. Der Knackpunkt beim Klapp-Rad ist das Scharnier. Ist das Rad billig, so funzt das nur schwer. Ist das Rad teuer, geht das leichter, aber man trägt schwer an der finanziellen Last.
Wollen wir noch Marken erwähnen? Ja, wir wollen, als da sind: Strida (700 Euro), Brompton (1.100 Euro), Birdy (2.000 Euro) und das Moulton (ab 3.000 Euro). An dieser Aufzählung wird als erstes ersichtlich, dass das mit dem billigen Klapprad nix ist. Weil es technisch aufwändig ist. Und das kostet. Konklusion hier: Finger weg vom billigen Klappi, ausser man möchte einen besonderen Garderobenhalter für den Flur. Das lässt sich mit dem Vorderteil eines solchen schön machen, am Scharnier ist eine Platte, mit dem es ausgezeichnet an der Wand festgeschraubt werden kann.
Das Strida Klapp-Rad. Eigenartige Form, aber funktioniert. Vor allem: Leicht und mini zusammenklappbar. Kostet 700 Euro. (
Finis: Leider mussten einige Bewohner des Fahrrad-Zoos draussen bleiben. Das City-Rad. Das Bonanza-Rad. Das Rhön-Rad. Das Bäcker-Rad. Das Hamster-Rad. Das Lasten-Rad. Das Fixie. Das Pedersen. Wer alles sehen will, kann nach Neckarsulm oder nach Bad Brückenau fahren in die dortigen Fahrrad-Museen. Und wer kaufen will, muss zum Händler des Vertrauens. (Christoph Preussler)
Fahrräder kauft man nicht im Internet. Sondern beim Händler. Der kümmert sich. Und repariert dann auch. So wie Laurel und Hardy im Film „Schrecken aller Spione“. Gibts für 15 Euro auf DVD. Oder bei Apple TV. (