Lesedauer ca. 11 min
Radfahren ist schön. Außerdem hat jeder eines irgendwo stehen. Was aber, wenn es kaputt ist? Lohnt sich eine Reparatur noch?
In der Republik gibt es (2019 geschätzt) 76 Mio. Fahrräder. Also ist davon auszugehen, dass jeder eigentlich ein Fahrrad hat. Das ist dann jedoch ein „altes“ Fahrrad. Und es kann sein, dass es diese oder jene Krankheit hat. Soll man das reparieren? Oder besser ein neues kaufen? Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Was sich jedoch bereits eingangs der Diskussion feststellen lässt: Wer sein Rad als Verbrauchs- oder Wegwerf-Artikel sieht, bleibt in der Regel bei seinem (nicht nachhaltigem) Verhalten: Er oder Sie wirft es weg und kauft sich ein anderes oder auch ein neues. Alle anderen, die eine wie auch immer geartete Beziehung zu ihrem Drahtesel haben, sollten es (je nach Substanz des Rades) selbst reparieren oder reparieren lassen.
Die kleine Beispielrechnung zum Thema Wegwerf-Rad und Gebrauchtes von privat kaufen: Ist man Laie, so ist man beim Kauf vom Zufall abhängig. Das ins Auge gefasste Rad kann in gutem Zustand sein, oder aber mit - auch versteckten - Fehlern behaftet. In der Regel ist das ins Auge gefasste gebrauchte Rad von privat ähnlich verbraucht, wie das, was ohnehin zuhause herumsteht. Als Erstes sind Schläuche und Reifen zu erneuern. Die Kosten für die Teile (die genannten Preise sind alle ohne Montage bzw. Werkstattkosten) liegen bei ca. 50 Euro. Auch die Bremsgummis sind Verschleissteile: ca. 20 Euro. Die Brems- und Schaltzüge sind häufig verrostet oder schwergängig. Nochmals ca. 20 Euro. Bis hier her belaufen sich die Preise für Teile auf ca. 90 bis 100 Euro. Soviel müssen Sie zusätzlich ausgeben, wenn Sie sich auf neu gekaufte gebrauchte Rad verlassen wollen. Ein „altes“ gebrauchtes Rad beläuft sich in Kleinanzeigenmärkten auf 50 bis 100 Euro, mit den genannten Kosten sind wir bereits bei einer Summe von ca. 200 Euro. Und das ohne Werkstatt-Kosten.
Was sind die Vor- und Nachteile wenn ich mein „altes“ Rad reparieren lasse und wo ist das finanzielle Ende der Fahnenstange?
Als Maßstab wollen wir ein neues Rad der Mittelklasse heranziehen. Neue Fahrräder gibt es schon ab 150 Euro. Die Qualität der verbauten Teile ist hier jedoch unterirdisch. Ein „richtiges“ Fahrrad kostet ca. 500 bis 800 Euro, Dies ist also die Marke, bis zu welcher es sich rein wirtschaftlich lohnt, ein altes Rad zu reparieren. Die Voraussetzung ist jedoch, dass das Rad eine solide Basis für eine Instandsetzung ist, d.h. dass es kein Billig-Rad ist. Wenig Sinn macht, ein Billig-Mountain Bike instand zu setzen. Hier ist in der Regel alles kaputt. Dies liegt, wie erwähnt, an der Qualität der einzelnen Teile. Bespiel: Die Kurbel, der Antrieb des Rades. Das ist das grosse Zahnrad vorne mit den beiden Pedalen. Ein Billigrad hat hier drei grosse Zahnräder, die aus billigem Blech gestanzt und miteinander vernietet sind. Der Einkaufspreis für so ein Teil liegt bei max. 10 Euro. Ein gutes Rad hat da drei Zahnräder, aus Aluminium hergestellt, verschraubt, sodass sich verbrauchte Zahnräder einzeln auswechseln lassen. So eine Kurbel kostet mindestens 60 Euro. Diese Gegenüberstellung liesse sich beliebig weiterführen, würde aber den Umfang sprengen. Hier hilft nur die Begutachtung des Rades durch einen Fachmann.
Der jedoch hat meist wenig Interesse, ein altes Rad instand zu setzen. Weil er beim Verkauf eines neuen genausoviel oder mehr verdient, allerdings ohne den Aufwand. Hinzu kommt, dass der „normale“ Händler gar nicht mehr die dafür notwendigen Teile vorrätig hat, gerade dann, wenn es ältere Baumuster sind.
Früher war alles besser: Diese Aussage ist natürlich Unsinn. Früher war garnix besser. Früher sind die Leute an Grippe oder an Krieg gestorben. Und wie ist es mit dem Fahrrad? War da etwas früher besser? Das: Die Nutzungsdauer war länger, das Rad hielt ein Leben lang. Weil ein Rad in Bezug auf das Einkommen teuer war, wurde es pfleglicher behandelt. Es erschien wertvoller. Was war noch besser? Das: Die Haltbarkeit. Dies hat etwas mit Technik und Material zu tun. Der Fahrradrahmen war aus Stahl. Und der ist, entgegen anderer Beteuerungen, haltbar. Es gibt kaum Rahmenbrüche. Stahl ist elastisch. Und die Technik? Die war einfacher und daher weniger anfällig. Eine Dreigangnabe - wie die Torpedo von Sachs - ist kaum klein zu kriegen. Natürlich hat sie nur drei Gänge. Da haben moderne Räder viel mehr. Am Berg ist eine alte Dreigang-Nabe kein Zuckerschlecken. Aber wie gesagt: Sie macht so gut wie nie schlapp. Und Sie bedarf nicht ständiger Wartungsarbeiten, wie z.B. eine moderne 10 Gang Kettenschaltung.
Um eine Hausnummer zu nennen: Rechnen Sie mindestens mit 250 Euro, wenn Ihr Rad alte Reifen und Schläuche hat, nicht mehr richtig schaltet und die Bremsen und das Licht nicht mehr tun. Wollen Sie mehr, z.B. ein altes Rennrad restauriert haben, so betragen die Kosten schnell 400 Euro und mehr. Aber: es ist Ihr persönliches Fahrrad. Und einen alten, lieben Teddybär wirft man ja auch nicht weg.
Ein altes Rad zu reparieren oder ein altes instandgesetztes Rad zu kaufen, wirkt der Wegwerf-Mentalität entgegen. Die Wiederverwendung des Rades ist ein nachhaltiger Umgang mit wertvollen Ressourcen. Gefragt ist hier praktisches Tun, und nicht nur Gerede über umweltkonformes Verhalten.
Autor: Christoph Preussler