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Über die Entwicklung des Einzelhandels

Über die Entwicklung des Einzelhandels - Reparadius
Bild von 3888952 auf Pixabay

Lesezeit: ca. 5 min

Warum macht der Fahrradhändler um die Ecke zu?

Wo gestern noch ein Fahrradhändler war, hängt jetzt ein Schild: Zu vermieten. Und hat man dann endlich irgendwo einen Händler gefunden, so hat der die gewünschten Teile nicht. Was ist hier los?

Der Radhändler lebt auf zwei Standbeinen: 1. der Verkauf von Rädern und 2. Reparatur und Verkauf von Ersatzteilen. Beim Verkauf eines Rades verdient er gutes Geld, er muss zwar das Rad einkaufen, und die Lagerhaltung kostet Geld, jedoch ist der Aufwand für ein Beratungsgespräch vergleichsweise gering. Und: Je teurer das Rad, umsomehr Verdienst. Daher ist das Interesse am Verkauf von Elektro-Rädern hoch.

Anders ist das bei der Reparatur von Rädern. Diese Leistung bindet Arbeitskraft und muss Stunde um Stunde erbracht werden. Dieser Aufwand kann in kleinen Teilen durch ein Einsatz von Neuteilen verringert werden, Beispiel: Hat das Hinterrad einen Achter, kann der Händler es durch handwerkliche Leistung instand setzen durch Herumdrehen an den Speichen. Er sitzt eine halbe Stunde da und verdient dadurch vielleicht 20 Euro. Setzt er ein neues Hinterrad ein, so ist er damit schneller, der Verdienst liegt jetzt bei mindestens 60 Euro. Die Nachhaltigkeit hat gegenüber der Wirtschaftlichkeit mal wieder verloren.

Ein reiner Reparaturbetrieb ohne Verkauf von Neurädern ist kaum wirtschaftlich, da die Kunden nicht bereit sind, die real entstehenden Kosten des Handwerkers zu tragen. Liegt die geschätzte Reparatursumme über ca. 250 Euro, so greift der potentielle Reparaturkunde lieber zu einem neuen Billigrad. Zudem ist die Verfügbarkeit von Ersatzteilen gering, wenn das Rad älter als 20 Jahre ist.

Hier hilft hier ein kleines Beispiel aus dem Bereich der Haushaltswaren. Kaufte früher jemand ein Geschirr, so tat er dies im Fachhandel und ging von einer lebenslangen Nutzung aus. Daher legte der Käufer Gewicht auf eine sog. Nachkauf-Garantie. Was nutzt es, ein schönes Service zu haben, wenn es nach zehn Jahren keine Einzelteile mehr gibt? Soweit der Gedankengang. Und die Hersteller trugen dem Rechnung. Was in einer gewaltigen Lagerhaltung mündete. Und was macht die Lagerhaltung? Die kostet Geld.

Doch dann: Die Vertriebswege änderten sich. Der Fachhandel fiel in sich zusammen, der Verkauf fand plötzlich in Möbelhäusern statt. Die Preisstruktur änderte sich: Die Preise purzelten. Die Nutzungsdauer änderte sich: Geschirr wurde zum Verbrauchs- und Modeartikel, den man nach fünf Jahre gerne ersetzte, weil man sich daran satt gesehen hatte. Resultat: Die Porzellanhersteller saßen auf ihren Lagerartikeln und mussten schliessen. In dieser Gemengelage hat kein einzelner Marktteilnehmer schuld an der Entwicklung.

Dieses Beispiel lässt sich zu hundert Prozent auf den Bereich des Fahrrades übertragen. Vertriebswege, Preisstruktur und Verbraucherverhalten haben sich grundlegend geändert. Einfluß hat der Verbraucher nur mit seinem Kauf-Verhalten. Und das wird leider auch durch die Dicke des Geldbeutels geregelt. Was hat er von der Erkenntnis, dass sich der Kauf hochwertiger Artikel lohnt, wenn er nicht die Mittel dazu hat?

Bonjour Tristesse: Wie verändert die Tatsache, dass wir bei Discountern und im Netz kaufen unsere Innenstädte? Dies betrifft nicht nur die Warengruppe Fahrrad – alle Branchen sind davon betroffen. Der Ladenmix verändert sich gravierend und wird monoton, wie wir es derzeit schon erleben. Imbisse, Handyläden, Modeketten und Gastronomie reihen sich aneinander, was auch eine Frage der Mietpreise ist. Bereits jetzt sind wir gezwungen, spezielle Artikel im Netz zu bestellen, da die entsprechenden Läden längst ausgestorben sind. Eine Entwicklung, die Alexander Mitscherlich 1965  in seinem Buch „Über die Unwirtlichkeit unserer Städte“ nicht voraussehen konnte, aber heute durchaus ein Kapitel wert wäre.

Was auf der Strecke bleibt, ist nicht zuletzt auch das Einkaufserlebnis, das gering ausfällt, wenn das gewünschte Produkt per Post kommt. Vergleich, Beratung, visuelles und taktiles Erlebnis bleibt aus. Der Kauf ist kein Event mehr, die Belohnung des Konsumenten beschränkt sich auf den Artefakt.

Was tun? Der Vorschlag zur Güte: Starten Sie einen Testballon. Erobern Sie gezielt die verbliebenen Spezialgeschäfte ihrer Umgebung. Tun Sie das auch, wenn Sie zunächst nichts kaufen wollen. Machen Sie die Suche nach kleinen Läden zu einem kleinen Freizeit-Event. Das Abenteuer wartet vor ihrer Türe.

(Christoph Preussler)

 

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